Medizinische Praxisassistenz: Nicht mehr «reine Frauensache»

Der MPA-Beruf hat sich in den letzten Jahren verändert: Karrieremöglichkeiten, Spezialisierung, Teamwork und neue Settings – all das macht den Beruf auch für Männer attraktiv. Die Autorinnen dieses lesenswerten Artikels aus der Praxisarena haben männliche Lernende gefragt: Warum haben sie sich für diesen Beruf entschieden? Ein Blick in die Berufsgeschichte zeigt, wie sich der «Frauenberuf» entwickelt und geöffnet hat.

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Foto: Praxisarena

Autorinnen

  • Sandra Wegmann, Bildungsverantwortliche MPA, Universitätsspital Zürich

  • Franziska Tschirky Feratovic, Prozessverantwortliche Sekundarstufe, USZ

Artikel veröffentlicht in der Praxisarena, Ausgabe 2/25

 

 

 

„Klar, als Mann bin ich oft in der Minderheit. Aber ich sehe das eher als Vorteil, weil es den Teams auch mal eine andere Dynamik bringt“
Daniel, MPA-Lernender im 3. Lehrjahr.

Text aus der Praxisarena:

Seit etwa vier Jahren ist ein Trend zu mehr männlichen MPA-Lernenden zu beobachten. 2020 schlossen schweizweit fünfzehn junge Männer ihre MPA-Ausbildung ab. Das entspricht 1.4 % aller MPA-Absolvent*innen (Bundesamt für Statistik, 2020). 2021 beendete im Universitätsspital Zürich (USZ) der erste männliche MPA-Lernende seine Ausbildung.

Bereits 2022 gab es 2.7 % männliche MPA-Absolvierende in der Schweiz. Setzt sich diese Entwicklung fort, ist mit einer signifikanten Steigerung ab 2024 zu rechnen: Medizinische Praxisassistenten werden keine Seltenheit mehr sein.


Historischer Rückblick

Der Beruf der «Arztgehilfin» war lange von traditionellen Geschlechterrollen geprägt. Frauen übernahmen soziale, pflegerische oder administrative Aufgaben, während Männer in technisch-handwerklichen oder leitenden Bereichen tätig waren.

Die ersten Arztgehilfinnen waren oft Ehefrauen der Ärzte. Die Praxis befand sich meist im Wohnhaus des Arztes. Mit der Zeit entwickelte sich eine Trennung von Wohn- und Arbeitsort – vor allem in städtischen Gebieten.

Mit dem medizinischen Fortschritt hielten Röntgentechnik, Labortechnik und administrative Aufgaben wie Abrechnung Einzug in die Arztpraxen. Die Ausbildung zur Arztgehilfin begann in der Schweiz um 1918 an privaten Schulen, war privat finanziert und lange nicht staatlich geregelt.

1955/56 umfasste der Lehrstoff unter anderem:

  • Labor, Krankheitslehre, Instrumentenkunde

  • Ärztliche Untersuchungstechnik

  • Anatomie, Physiologie, Terminologie

  • Physik, Chemie

  • Buchhaltung, Korrespondenz, Schreibmaschinenkurs

  • Fremdsprachen (Französisch, Englisch, Italienisch)

1969 wurde die Ausbildung vereinheitlicht und zentral geregelt. Absolventinnen erhielten ein FMH-Diplom, das Mindestalter lag bei 17 Jahren.


Wer eignete sich früher für den Beruf?

Die Anforderungen in den 1950er Jahren:

  • Absolute Zuverlässigkeit

  • Einsatzbereitschaft

  • Genauigkeit, Verschwiegenheit

  • Taktgefühl, Verständnis für Kranke

  • Keine Allergien gegen Chemikalien

  • Bereitschaft für Überstunden

  • Psychische Belastbarkeit

  • Fähigkeit, am Telefon Wichtigkeit einzuschätzen


Eine berufliche Einbahnstrasse

Früher gab es kaum Aufstiegschancen. Wer sich weiterentwickeln wollte, musste in andere Berufe wie Laborantin oder Pharmareferentin wechseln. Ein strukturierter Karriereweg fehlte.


Professionalisierung: Von der Arztgehilfin zur MPA/MPK

Mit dem EFZ (eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) wurde die Ausbildung ab den 1990er Jahren vereinheitlicht und professionalisiert.

Weitere Meilensteine:

  • Seit 2012: MPA-Ausbildung mit Berufsmaturität möglich

  • Seit 2013: Einführung der Medizinischen Praxiskoordinatorin (MPK) – mit Fokus auf Führung und Organisation

  • Berufliche Weiterbildung: CAS/MAS-Abschlüsse in Health Care Management, eidg. Berufsprüfung, höhere Fachprüfungen


Ein verändertes Arbeitsumfeld

Früher arbeiteten MPAs meist allein oder zu zweit für eine Praxis. Heute sind Gruppenpraxen, Ambulatorien und Spitäler üblich. Die neue Arbeitswelt bietet:

  • Teamarbeit

  • Spezialisierungsmöglichkeiten

  • Verantwortung und Eigenständigkeit

  • Besseres Image des Berufs

  • Mehr Männer im Beruf


Warum entscheiden sich junge Männer für diesen Beruf?

Einige Aussagen der Lernenden am USZ:

  • Elias (1. Lehrjahr): „Ich wollte mit Menschen arbeiten und medizinisches Wissen nutzen. Mein Umfeld war überrascht – jetzt unterstützen mich alle.“

  • Matteo (1. Lehrjahr): „Wir organisieren, assistieren und sorgen für Struktur – es ist sehr abwechslungsreich.“

  • Finn (1. Lehrjahr): „Ich möchte später Arzt werden. Die MPA-Lehre mit BMS ist ein guter Start.“

  • Daniel (3. Lehrjahr): „Ich werde im Team nicht anders behandelt, fühle mich willkommen.“

  • Noah (2. Lehrjahr): „Ich habe erst später realisiert, dass MPA ein Frauenberuf war.“


Wie erleben männliche Lernende das Team?

Die Mehrheit berichtet von:

  • Willkommenskultur

  • Neutralität im Team

  • Unterschiedlicher Konfliktstil (sachlicher, ruhiger)

  • Ausgewogenerer Teamdynamik mit Männern


Wie reagieren Patient:innen?

  • Anfangs überrascht, dann meist positiv

  • Besonders ältere Menschen reagieren manchmal zögerlich

  • Wichtig: professionelle Kommunikation, respektvoller Umgang


Selbständigkeit vs. Assistenz

  • Der Beruf vereint Assistenz (z. B. bei Untersuchungen) mit viel eigenständiger Arbeit (z. B. Blutentnahme, Organisation).

  • Hierarchien werden als flach erlebt.


Gelebte Interprofessionalität am USZ

  • Zusammenarbeit mit Pflegefachpersonen, Hebammen, Ärzten, MPKs etc.

  • Austausch auf Augenhöhe

  • Fachübergreifendes Lernen

  • Fördert Teamgeist und Qualität in der Patientenversorgung


Karrierewege am USZ

MPAs können sich in drei Richtungen weiterentwickeln:

  1. Fachlaufbahn: Spezialisierung

  2. Führung: Leitung von Teams, Gruppen oder Ambulatorien

  3. Bildung: Berufsbildner:in, SVEB-zertifizierte Weiterbildung


Zukunftsperspektiven

Der Beruf ist heute so dynamisch wie nie zuvor. Digitalisierung, Spezialisierung und neue Versorgungsmodelle werden ihn weiter verändern. Der Männeranteil wird voraussichtlich weiter steigen.

 

Ich finde es super, mit Jungs zu lernen – sie bringen andere Perspektiven ein und machen die Ausbildung lebendiger.
Julia, MPA-Lernende, 1. Lehrjahr

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